From Dictatorship to Democracy

Organisatoren
Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz; Freie Universität Berlin; Humboldt-Universität zu Berlin; Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Berlin
Ort
Berlin (digital)
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.09.2021 - 14.09.2021
Url der Konferenzwebsite
Von
Juri Strauß, Fachbereich Rechtswissenschaften, Freie Universität Berlin

„Stellen Sie sich vor: Ein Mann kommt von der gegenüberliegenden Straßenseite auf Sie zu, während Sie im Prenzlauer Berg spazieren gehen. Er beschimpft Sie. Der Mann beginnt, Sie auf offener Straße mit der Schnalle seines Gürtels zu schlagen. Das alles, weil Sie eine Kippa tragen.“ – Dieser antisemitische Vorfall, den die Berliner Oberstaatsanwältin CLAUDIA VANONI (Berlin) den Teilnehmern der Konferenz „From Dictatorship to Democracy“ eindrucksvoll schilderte, geschah im April 2018 im Herzen Berlins. Noch im letzten Jahrhundert, während der Zeit des Nationalsozialismus, waren derartige Übergriffe auf Menschen jüdischen Glaubens sogar Kern eines staatlichen Systems.

Daran beteiligt war auch die Justiz. Denn nicht selten versteckte sich der Dolch des Mörders unter der Robe des Richters, wie der Justizsenator DIRK BEHRENDT (Berlin) von Bündnis 90/Die Grünen in seiner Rede verdeutlichte. Dies geschah etwa, wenn politische Morde durch Todesurteile, die in ihrem Aufbau genau gewöhnlichen Strafurteilen entsprachen, verübt wurden. Die Bedeutung von Juristen für das nationalsozialistische Unrecht im Dritten Reich lässt sich im Übrigen schon durch Blick auf die Zahlen erkennen: So waren neun der insgesamt fünfzehn Teilnehmer der Wannsee-Konferenz, die der „Endlösung der Judenfrage“ galt, Juristen.

Die Konferenz, die am 13. und 14. September in der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin stattfand, widmete sich der Untersuchung genau dieser Zusammenhänge. So formulierte Deborah Hartmann, Leiterin der Gedenkstätte, schon in ihrer Eröffnungsrede die zu untersuchenden Leitfragen: „Was bedeutete Gerechtigkeit nach 1945?“ und „Was lernen wir aus der Strafverfolgung von Tätern“.

Hintergrund der Konferenz war das durch die Senatsverwaltung für Justiz gemeinsam mit der Freien Universität Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin in Arbeit befindliche Forschungsprojekt zu NS-Kontinuitäten in der Berliner Justiz. Im Rahmen dieses Projektes, das unter der Leitung von IGNACIO CZEGUHN (FU Berlin) sowie JAN THIESSEN (HU Berlin) steht, wird der verfügbare Bestand an Personalakten der Justizverwaltung aus der Nachkriegszeit erfasst, katalogisiert und auf Hinweise bezüglich einer NS-Vergangenheit untersucht. Eine der Öffentlichkeit zugängliche Website ist im Aufbau begriffen.

Angesichts des Umfangs dieses Vorhabens ist das Projekt jedoch bei Weitem nicht abgeschlossen, auch sorgte die Covid-19-Pandemie für einige Schwierigkeiten beim Archivzugang, sodass Ignacio Czeguhn in seinem Beitrag nur einen Zwischenstand als Überblick geben konnte. Dabei betonte er insbesondere die bereits gewonnene Erkenntnis, dass eine NS-Mitgliedschaft einer weiteren Karriere in der Berliner Justiz keineswegs entgegenstand, sofern die Qualifikation ausreichte. Beginnend mit dem kalten Krieg und der besonderen Stellung Berlins darin, war ab den fünfziger Jahren für Bewerber aus der SBZ/DDR ihre dortige Vergangenheit wichtiger als die in der NS-Zeit, sodass sie im Hinblick auf Mitgliedschaften in kommunistischen Vereinigungen oder Tätigkeiten in Organen und Institutionen der DDR geprüft wurden.

Die Themen der Tagung sollten sich jedoch keinesfalls nur auf das nationalsozialistische Deutschland beschränken: Über 20 Teilnehmer, unter anderem aus Spanien, Italien, Polen und Japan lieferten weitere wertvolle Beispiele für die Entwicklung des Justizwesens während und nach der Herrschaft totalitärer Unrechtsregime.

So referierte etwa VITORIA CALABRÒ (Messina) zur Justizgeschichte Italiens im Zusammenhang mit der Zeit des Faschismus und nannte als Beispiel für dessen Einfluss auf das Rechtswesen etwa den damaligen Art. 147 des Zivilgesetzbuchs (codice civile), der Eltern zu einer Erziehung ihrer Kinder im Sinne der moralischen und nationalen faschistischen Vorstellungen verpflichtete.

BRONISŁAW SITEK (Warschau), RAFAŁ MAŃKO (Amsterdam) und ALBERT PIELAK (Warschau) gaben einen Überblick über die Entwicklung der polnischen Justiz während der Zeit der Volksrepublik Polen sowie nach dem Zusammenbruch des Ostblocks. So beschrieb Pielak etwa für die Zeit nach 1956, dass die unter der polnischen vereinigten Arbeiterpartei vorgesehene Rolle der Richter sich auf die Schaffung der Rahmenbedingungen für Sozialismus und Marxismus konzentrierte. Der 1963 neu in das polnische Gerichtsverfassungsgesetz eingefügte Artikel 64 sah vor, dass polnische Richter bei nicht garantierter Integrität entlassen werden sollten. Auch führte die Auslagerung vieler Zuständigkeiten in separate Organe zu einer Aushöhlung der Justiz in Gestalt eines verringerten, wenn nicht gar nahezu aufgehobenen Rechtsschutzzugangs für die Bevölkerung, den Pielak schließlich mit einer „Leiter ohne Sprossen“ verglich. Schon im Zuge des Umbruchs in den 1980er-Jahren wurde Rafał Mańko zufolge zunächst ein Verfassungsgerichtshof geschaffen, der nach dem Ende der Volksrepublik Polen viele rechtsstaatliche Prinzipien definierte, die schließlich Eingang in die Verfassung Polens fanden.

MIHO MITSUNARI (Nara) erläuterte das aus der Geschichte Japans und Koreas stammende Beispiel der „Comfort Women“. Mit diesem zynischen Begriff wird die Zwangsprostitution im Zweiten Weltkrieg umschrieben. Zwar wurde zwischenzeitlich von offizieller japanischer Seite anerkannt, dass diese Form sexueller Gewalt tatsächlich stattgefunden hat, jedoch ohne jede Anerkennung einer rechtlichen Verantwortung.

Schließlich gaben SÁNCHEZ ARANDA (Elche) und PEREZ JUAN (Granada) einen Überblick über Amnestien in der Zeit des spanischen Umbruchs nach dem Ende der Franco-Diktatur 1975. RAMÓN ORZA LINARES (Granada) behandelte anhand mehrerer Beispiele den Prozess der Demokratieentwicklung in Mittelamerika.

Ein abendlicher Empfang in der benachbarten Liebermann-Villa, bei der BENJAMIN LAHUSEN (Berlin) noch einen Überblick über die heutige juristische Behandlung von konfisziertem oder sonst während der Zeit des Nationalsozialismus verletztem Eigentum gab, schloss den Tag ab.

Während des zweiten Konferenztages stand die Frage im Vordergrund, inwiefern ein Übergang von der Diktatur zur Demokratie aus juristischer Perspektive gelungen ist. Im Fokus stand dabei insbesondere der gegenwärtige Umgang mit Antisemitismus. Hierzu erläuterte CLAUDIA VANONI (Berlin) anschaulich die Entwicklung der Arbeit der Berliner Staatsanwaltschaft mit Antisemitismusdelikten.

SAMUEL SALZBORN (Berlin), der Antisemitismusbeauftragte des Landes Berlin, widmete seine Rede insbesondere dem gesellschaftlichen Umgang mit Antisemitismus und benannte diesen als den „schmerzhaftesten Ausdruck dessen, die eigene Vergangenheit nicht aufarbeiten zu können.“ Ausdruck dieser Verdrängung sei etwa auch, dass Studien zufolge knapp 70 Prozent der Bundesbürger davon ausgingen, ihre Vorfahren seien keine Täter im Nationalsozialismus gewesen, obwohl ein tatsächlicher Widerstand nur bei 0,3 Prozent der damaligen Bevölkerung nachweisbar sei. Angesichts dieses Kontrastes verwies Salzborn auf die Bedeutung von Aufklärungsarbeit und Aufarbeitung, die seiner Ansicht nach aber erst ganz am Anfang stehe.

Eine gegenwärtig noch unzureichende Behandlung des Themas gerade in der Juristenausbildung bemängelte schließlich auch Jan Thiessen – eine Veränderung werde sich hier aber aus dem jüngst reformierten § 5a des Deutschen Richtergesetzes ergeben, der die verpflichtende Auseinandersetzung mit nationalsozialistischem Unrecht (und SED-Unrecht) ab dem 1. Januar 2022 für die juristische Ausbildung vorschreibt. Einigkeit bestand in diesem Zusammenhang dahingehend, dass die kontinuierliche Sensibilisierung notwendige Voraussetzung für die Sicherung einer rechtsstaatlichen Justiz in der Zukunft sein wird.

Konferenzübersicht:

Deborah Hartmann (Potsdam): Dr. Dirk Behrendt (Berlin): Begrüßung

Ignacio Czeguhn (Berlin): The Berlin Administration of Justice after 1945 – Factual and Personnel Continuities with the Nazi Justice System. Presentation of the Project and State of Research

Vittoria Calbrò (Messina): From the Chair to the Magistracy. Continuity and Discontinuity in the Path of some Italian Jurists

Bronisław Sitek (Warschau), Rafał Mańko (Amsterdam), Albert Pielak (Warschau): From Sovietization to Democratization of Justice in Poland (1944–1997)

Miho Mitsunari (Nara), Wartime Sexual Violence and War Responsibility: The “Comfort Women Issue” in Japan

Jose Antonio Perez Juan (Elche), Antonio Sanchez Aranda (Granada): Amnesty and Pardon Laws in the Spanish Political Transition

Juan J. Gutiérrez Alonso (Granada/Bologna): Transition to Democratic Rule in Central American Countries

Benjamin Lahusen (Berlin): Learning from History? Current developments in the restitution of Nazi-confiscated property

Claudia Vanoni (Berlin): Drei Jahre Antisemitismusbeauftragte der Generalstaatsanwaltschaft – ein Erfahrungsbericht / Three Years of Antisemitism Commissioner of the General Prosecutor’s Office – a Field Report

Samuel Salzborn (Berlin): Kontinuität, Tradierung und Transformation des Antisemitismus / Continuity, Transmission and Transformation of Antisemitism

Jan Thiessen (Berlin): The Treatment of the Nazi Past in Contemporary German Legal Education

Abschlussdiskussion


Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Englisch
Sprache des Berichts